In der regenerativen Medizin wird versucht, eine Läsion oder ein erkranktes Organ durch Stammzellen zu ersetzen, die sich ausdifferenzieren und die beschädigten oder erkrankten Zellen ersetzen. Diese Methode wird bereits seit Jahren angewandt, vor allem bei Haut- und Rückenmarkstransplantationen. Neuere Forschungen zeigen, dass transplantierte Stammzellen nur wenige Tage überleben. Ihre therapeutische Wirksamkeit beruht auf der Freisetzung einer Vielzahl biologisch aktiver Faktoren, die bei der Regulierung zahlreicher biologischer Prozesse eine wesentliche Rolle spielen. Sie sind in Vesikeln gebündelt, die von den Stammzellen freigesetzt werden und die ihren Inhalt in spezifisch erkannte Zielzellen entleeren.
Um mehr zu erfahren, lesen Sie den Artikel von Prof. Jacques Proust.
Die regenerative Medizin ist eine therapeutische Strategie, die sich noch in der Entwicklung befindet. Sie zielt darauf ab, eine Läsion oder ein erkranktes Organ mit Stammzellen zu reparieren, die sich so differenzieren, dass sie die beschädigten oder kranken Zellen ersetzen (Definition gemäß der französischen Forschungs- und Entwicklungseinrichtung INSERM – Institut National de la Santé et de la Recherche médicale). Die seit vielen Jahrzehnten schon bei Haut- und Rückenmarkstransplationen zum Einsatz kommenden so genannten Zelltherapien konnten von den jüngsten wissenschaftlichen Fortschritten im Bereich der Stammzellen profitieren
Mesenchymale Stammzellen oder multipotente mesenchymale Stromazellen (MSZ) sind die am häufigsten in experimentellen Behandlungsprotokollen zur Behandlung von Erkrankungen beim Menschen verwendeten Zellen. Sie gehören zu einer Zellpopulation, die zuerst im Knochenmark identifiziert wurde, jedoch tatsächlich in sämtlichen Geweben vorhanden ist. Mehr als 800 klinische Studien, bei denen diese Zellen verwendet werden, sind aktuell registriert.
Paradigmenwechsel beim Wirkprinzip von Stammzellen
Es ist bekannt, dass MSZ bei ihrer Verabreichung beim Menschen gleichzeitig mehrfach wirken: sie wirken insbesondere entzündungshemmend, stimulieren die Reparatur von beschädigtem Gewebe und modifizieren die Immunantwort.
Bei ihrer intravenösen Injektion werden die MSZ jedoch in den Lungenkapillaren eingeschlossen und nur wenige können bis zu den beschädigten Stellen vordringen und sich dort einnisten. Weniger als 1 % der MSZ überleben eine Woche nach der systemischen Verabreichung.
Trotz dieses großen Nachteils belegen die klinischen Studien den kurzfristigen therapeutischen Nutzen einer Verabreichung von MSZ für zahlreiche Erkrankungen.
Diese offensichtliche Diskrepanz lässt sich teilweise dadurch erklären, dass MSZ die Reparatur und die Regeneration von Gewebe durch die Ausschüttung von chemischen Botenstoffen begünstigen, die die reparativen Mechanismen des Wirts stimulieren anstelle die beschädigten Zellen direkt zu ersetzen.
Dieser Paradigmenwechsel wird durch die Entdeckung gestützt, dass MSZ eine Vielzahl an biologisch wirksamen Proteinen ausschütten. Die Verabreichung von MSZ-Kulturmedien, die diese Moleküle enthalten, entfaltet in experimentellen Modellen von Myokardinfarkt und pulmonalen Läsionen eine ähnliche therapeutische Wirkung wie die direkte Injektion von MSZ.
Ein bedeutender Fortschritt hin zu einem besseren Verständnis des Wirkprinzips von MSZ war der Nachweis, dass die biologisch aktive Fraktion von Kulturmedien, die mit MSZ konditioniert wurden, durch Partikel bedingt war, deren Größe zwischen 50 und 500 Nanometer betrug.
Intrazelluläre Vesikel und interzellulärer Dialog
MSZ, wie auch andere Zellen des Organismus, schütten extrazelluläre Vesikel (EV) aus. Extrazelluläre Vesikel (EV) erregen zunehmend Interesse , da sie in der Lage sind, den biologischen Inhalt zwischen Zellen zu transferieren. Die in den extrazellulären Raum ausgeschütteten EV zirkulieren durch verschiedene Körperflüssigkeiten und modulieren die Antwort von Zellen, mit denen sie interagieren, lokal oder aus der Ferne. Die EV bringen die traditionelle Sichtweise der interzellulären Kommunikation ins Wanken und stellen somit eine alternative und vielseitige Art der Kommunikation dar, die neue Wege für biologische und therapeutische Konzepte und Möglichkeiten eröffnet.
EV sind an zahlreichen physiologischen und pathologischen Prozessen beteiligt. Ihre Fähigkeit zur pathophysiologischen Regulierung hängt mit ihrem intravesikulären Inhalt und der Zusammensetzung ihrer Membran zusammen.
Wirkprinzip der von Stammzellen ausgeschütteten extrazellulären Vesikel
EV bestehen aus verschiedenen vesikulären Typen, darunter auch aus Exosomen und Mikrovesikeln. Mikrovesikel werden durch Ausstülpung der Zellmembran gebildet, während die kleineren Exosome, die auch von einer Membran umgeben sind, intrazellulär erzeugt werden. Diese beiden Arten von Vesikeln werden in den Zellzwischenraum freigesetzt und zirkulieren im Organismus, in dem sie von zahlreichen Körperflüssigkeiten transportiert werden.
Der Inhalt der EV besteht aus Enzymen, verschiedenen Metaboliten und Nukleinsäuren wie der DNA, teilweise auch fragmentierter DNA oder microRNA, die an der Regulierung der Genexpression beteiligt sind. Dieser Inhalt kann je nach Zelltyp, in dem die EV produziert werden, unterschiedlich sein. Es ist der Transfer dieses Inhalts in die Zielzelle, die das Verhalten und die biologische Aktivität der Zielzelle verändert.
EV weisen auf ihrer Oberfläche charakteristische Proteine auf, die je nach Ursprungszelle variieren und direkt an der Interaktion mit der Zielzelle beteiligt sind. Diese Membranproteine ermöglichen die Erkennung der Zielzelle, die Fusion der EV mit der Membran dieser Zelle und ihre Integration.
Therapeutische Bedeutung extrazellulärer Vesikel
Klinische und experimentelle Daten belegen den Nutzen der Verabreichung von aus MSZ gewonnenen EV für zahlreiche pathophysiologische Prozesse.
• Sie können das Wachstum bestimmter Tumoren hemmen.
• Sie exprimieren kardioprotektive Eigenschaften in experimentellen Myokardmodellen und neuroprotektive Eigenschaften in Schlaganfallmodellen und Modellen von verletzungsbedingten zerebralen Läsionen.
• Einige enthalten Neprilysin, ein Enzym, das die an Morbus Alzheimer beteiligten Beta- Amyloid-Peptide abbaut, was einen Nutzen bei bestimmten neurodegenerativen Erkrankungen nahelegt.
• Im Darm zeigten EV eine schützende Wirkung in Enterokolitis-Modellen.
• Sie verbessern pulmonale Hypertonie und beugen einem durch Endotoxine hervorgerufenen Lungenödem vor.
• Sie stimulieren die Muskel- und Knochenregeneration und die Knorpelbildung.
• Sie begünstigen die Wundheilung, indem sie die Proliferation von Epithelzellen, die Bildung neuer Gefäße und die Synthese von Collagen und Elastin anregen.
• Und zu guter Letzt beeinflussen sie auch die Aktivität zahlreicher Immunmediatoren.
EV scheinen daher die neuen Akteure im Bereich der interzellulären Kommunikation zu sein und stellen ein interessantes Ziel für die Entwicklung innovativer Behandlungsansätze dar.
Zukünftige Ausrichtung
Die Anwendung der von MSZ ausgeschütteten EV in der regenerativen Medizin bietet wesentliche Vorteile gegenüber der direkten Verabreichung von Stammzellen.
• Damit können die mit der Transplantation von lebenden Zellen verbundenen Probleme, wie z.B. immunologische Verträglichkeit (die Verwendung autologer Zellen ist nicht erforderlich), die Bildung von Tumoren und Embolien und die Übertragung von Infektionen, vermieden werden.
• Aufgrund ihrer sehr geringen Größe können EV – im Gegensatz zu MSZ, die bei ihrer ersten Passage durch das Kapillarbett bereits fast vollständig beseitigt werden – frei im Organismus zirkulieren.
• EV können hinsichtlich ihrer Unbedenklichkeit, ihrer Dosierung und ihrer Wirksamkeit wie pharmazeutische Produkte bewertet werden.
• EV können über einen langen Zeitraum ohne potenziell toxische Kryokonservierungsmittel für Zellen und ohne signifikanten Verlust ihrer biologischen Wirksamkeit gelagert werden.
• Sie können auf Stammzellenbasis in großen Mengen in Bioreaktoren unter vollkommen kontrollierten Laborbedingungen hergestellt werden. EV stehen sofort für die Behandlung von Akuterkrankungen wie Myokardinfarkt, Schlaganfälle oder verletzungsbedingte Organläsionen zur Verfügung.
• Darüber hinaus könnte das biologisch gewonnene Produkt verändert werden, um für bestimmte therapeutische Anwendungen eine spezielle Wirkung in Zellen zu erzielen.
Zusammenfassung
Die ersten wissenschaftlichen Untersuchungen schrieben den Nutzen von Stammzellentherapien deren Fähigkeit zu, sich lokal transplantieren und für verschiedene Gewebetypen differenzieren zu lassen. Jüngste Forschungen zeigen, dass die transplantierten Stammzellen nur wenige Tage überleben und ihre therapeutische Wirksamkeit in Wirklichkeit auf der Freisetzung einer Vielzahl biologisch wirksamer Faktoren beruht, die eine wesentliche Rolle bei der Regulierung zahlreicher biologischer Prozesse spielen. Diese chemischen Botenstoffe sind in den von Stammzellen ausgeschütteten Vesikeln gebündelt, die ihren Inhalt in den Zielzellen entleeren, die spezifisch erkannt werden. Die Verwendung dieser Vesikel zu Behandlungszwecken bietet im Vergleich zur Verabreichung von Stammzellen zahlreiche Vorteile hinsichtlich der Produktion, der Dosierung, der Wirksamkeit, der Lagerung und ihrer sofortigen Verfügbarkeit, da sie ja gebrauchsfertig sind.
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