Das Gedächtnis über 50

the grandfather explains something to his son and grandson

Pr. Julien Bogousslavsky & Anne-Isabelle Gasser

GSMN Neurozentrum, Klinik Valmont, Route de Valmont, Montreux, Klinik Montchoisi, Chemin des Allinges, Lausanne

April 3, 2021

Im Durchschnitt leiden 30 bis 40 % der über 50-Jährigen unter einer Art von Gedächtnisverlust. Das bedeutet nicht unbedingt, dass man ständig alles vergisst, aber es gibt bestimmte Gedächtnistypen, die durch die Alterung beeinträchtigt werden. Wir unterscheiden sie in Kurzzeitgedächtnis, Arbeitsgedächtnis, semantisches Gedächtnis, prozedurales Gedächtnis und prospektives Gedächtnis. Der Alterungsprozess wirkt sich vor allem auf das Arbeits- und das Kurzzeitgedächtnis aus, während die anderen Gedächtnistypen weitgehend unbeeinflusst bleiben. Interessant ist, dass sich das semantische Gedächtnis mit zunehmendem Alter sogar verbessern kann, denn das semantische Gedächtnis ist mit dem Allgemeinwissen verbunden. Das Gedächtnis wird nach 50 Jahren nicht unbedingt schlechter, und es gibt eine Menge Dinge, die Sie tun können, um es zu erhalten!

Wenn Sie mehr erfahren möchten, lesen Sie den Artikel von Pr. Julien Bogousslavsky & Anne-Isabelle Gasser.

PHYSIOLOGISCHE, ALTERSBEDINGTE VERÄNDERUNGEN

Ab 50, stellen 30-40 % der Personen fest, dass ihr Gedächtnis sie manchmal im Stich lässt. Tatsächlich ist erwiesen, dass das Altern eine Veränderung der kognitiven Funktionen mit sich bringt, als Folge der alterungsbedingten Veränderungen des Nervensystems: neuroanatomische Veränderungen (das Gehirn wird kleiner), neurophysiologische (Verringerung der Synapsen und der Anzahl und Grösse der Neuronen) und neurochemische (Verringerung der Neurotransmitterproduktion, vor allem von Dopamin und Azetylcholin).

Als Konsequenz der physiologischen Veränderungen, die das Gehirn und die Sinnesorgane betreffen, werden Information langsamer verarbeitet, was sich nicht auf den Arbeitsrhythmus auswirkt, sondern auch auf die kognitiven Fähigkeiten, wie das Gedächtnis, die Aufmerksamkeit oder die visuell-räumlichen Fähigkeiten. Manche kognitiven Bereiche sind früher betroffen als andere: z.B., das Gedächtnis leidet früher darunter als die visuell-räumlichen Fähigkeiten. Ausserdem kann das Gedächtnis in verschiedene Funktionsbereiche unterteilt werden, die von verschiedenen Gehirnbereichen abhängen und deshalb in isoliert gestört werden können. Man unterscheidet das Arbeitsgedächtnis, das Kurzzeitgedächtnis, das semantische, prozedurale und das prospektive Gedächtnis (siehe Kasten).

DIE GEDÄCHTNISSE

Das Gedächtnis ist kein alleinstehendes Phänomen, es gibt auch nicht nur ein Gedächtnis, sondern mehrere:

Arbeitsgedächtnis: System mit begrenzter Kapazität, das nur eine kurzen Zeitraum lang eine Information bearbeitet, z.B., eine Telefonnummer aufschreiben. Das Arbeitsgedächtnis spielt im Alltag eine Schlüsselrolle, bei Denkvorgängen und Sprachverständnis.

Kurzzeitgedächtnis: Gedächtnis der Ereignisse, die an einen bestim-mten zeitlich-räumlichen Kontext geknüpft sind. Manchmal auch autobiographisches Gedächtnis genannt, wird hier gespeichert und in Erinnerung gerufen, was man selbst erlebt hat. Einige Beispiele: Ich war 2010 mit meinen Kindern im Berner Zoo, es regnete; gestern Mittag habe ich Hühnchen mit Bohnen gegessen…

Semantisches Gedächtnis: Gedächtnis des Allgemeinwissens, der Bedeutung der Wörter. Beispiele: Bern ist die Hauptstadt der Schweiz, ein Papagei ist ein bunter Vogel…

Prozedurales Gedächtnis: speichert gelernte Fähigkeiten automatisch. Es ist das Gedächtnis der motorischen Fähigkeiten. So lernt man z.B. Fahrradfahren durch Wiederholung der Bewegungen, ohne dass man die einzelnen Etappen beschreiben kann.

Prospektives Gedächtnis: beschreibt die Fähigkeit, sich zur richtigen Zeit an zuvor gefasste Handlungsabsichten zu erinnern, etwas im richtigen Moment in einer mehr oder weniger nahen Zukunft zu tun oder zu sagen. Beispiele: sich an den Termin um 15 Uhr in der Klinik erinnern, daran denken, nach der Arbeit beim Bäcker vorbeizugehen, um Brot zu kaufen…

Mit dem Altern werden nur bestimmte Gedächtnisse schwächer, wie das Arbeitsgedächtnis und das Kurzzeitgedächtnis, während das prozedurale und das semantische Gedächtnis wenig oder gar nicht beeinträchtigt sind. Es wurde sogar nachgewiesen, dass das semantische Gedächtnis mit dem Alter grösser wird. Ausserdem beeinträchtigt das normale Altern den Prozess des kontrollierten Wiederauffindens, aber nicht den Prozess des automatischen Wiederaufrufens, der auf einen Gefühl der Vertrautheit basiert. Die Literatur ist weniger einheitlich über das prospektive Gedächtnis (sich daran erinnern, etwas zu machen) und spricht einmal von einer Reduktion, einmal von einem Beibehalt oder sogar einer Verbesserung der Gedächtnisleistung bei der älteren Person. Bei der Untersuchung wurden die Probanden als gemeinsame Aufgabe aufgefordert, den Prüfer zu einem bestimmten Zeitpunkt nach dem Gespräch anzurufen. Ältere hatten bessere Ergebnisse als Jüngere. Eine tiefere Analyse hat jedoch gezeigt, dass nur diejenigen älteren Personen ein besseres Ergebnis als Jüngere hatten, die eine äussere Hilfe benutzten. Im Gegenteil, ohne äussere Hilfen hatten jüngere Personen bessere Ergebnisse. Man kann also daraus schliessen, dass der positive Effekt des Alterns auf das prospektive Gedächtnis auf das Benutzen von äusseren Hilfen zurückzuführen sei, und nicht auf eine bessere Gedächtnisleistung.

Mit dem Altern werden nur bestimmte Gedächtnisse schwächer, wie das Arbeitsgedächtnis und das Kurzzeitgedächtnis, während das prozedurale und das semantische Gedächtnis wenig oder gar nicht beeinträchtigt sind.

Das schlechtere Kurzzeitgedächtnis durchs Altern ist im Allgemein den Problemen der Kodierung zuzuschreiben, d.h., den Schwierigkeiten, die zu speichernden Informationen auszusuchen und seine Aufmerksamkeit auf diese zu richten. Man kann das Gedächtnis mit einer Bibliothek vergleichen, wo die Erinnerungen wie Bücher geordnet sind, nach einem Einordnungssystem, das man Kodierung nennt. Danach kommt eine mehr oder weniger lange Periode der Verwahrung, und anschliessend die Wiederfindungsphase oder «Rückgabe» der Erinnerung, in der man die Erinnerung aus dem Gedächtnis heraussucht, wie ein Buch in der Bibliothek. Wenn man eine Erinnerung nicht wiederfindet, wenn man eine Information «vergisst», so kann man sich mit einem Leser vergleichen, der in der Bibliothek nicht das gesuchte Buch findet. Im Alter können diese Situationen häufiger werden: man vergisst, wo man etwas hingelegt hat, was ein Verwandter gesagt hat… Es handelt sich meist um einen Kodierungsfehler: ältere Personen hätten Schwierigkeiten, spontan semantische Verarbeitungsstrategien beim Kodieren anzuwenden. Das Altern bringt ebenfalls einen Abfall der Aufmerksamkeit mit sich, der manchmal sehr gross sein kann, und die Gedächtnisfunktionen stört. Schlechter Schlaf, Müdigkeit, Angst und Stress können ebenfalls zu Konzentrationschwierigkeiten und das zu Gedächtnisstörungen führen. Diese Aufmerksamkeitsstörungen können verschiedenen Formen annehmen: Schwierigkeiten, zwei Sachen auf einmal zu machen (z.B. Autofahren und sich mit dem Beifahrer unterhalten, kochen und Radio hören), sensibler auf Interferenzen reagieren (z. B. den Topf auf dem Herd vergessen, nachdem das Telefon abgenommen hat), Schwierigkeiten, von Gewohnheiten abzuweichen (z.B. den gleichen Weg wie immer mit dem Auto fahren, anstatt eine andere Richtung einzuschlagen).

Die Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten ist nicht immer gleich: manche Personen behalten dasselbe Effiziensniveau über lange Zeit hinweg, andere zeigen schneller Veränderungen. Wie sich die Auswirkung zeigt, hängt von mehreren Faktoren ab, wie z.B. das Ausbildungsniveau, die Persönlichkeit, der Gesundheitszustand und der Lebensstil.

KANN MAN SEIN GEDÄCHTNIS VERBESSERN?

Das Gehirn funktioniert nicht wie ein Muskel. Man kann es nicht verbessern, indem man Wortlisten oder Gedichte auswendig lernt. Man kann aber das Gedächtnis mit einfachen Strategien, die auf seiner Arbeitsweise aufbauen, verbessern. Diese Strategien stärken die Kodierung und machen das Widerauffinden einfacher. Einen Terminkalender, für die Tasche oder die Wand befreit das Gedächtnis.

Ein guter Lebensstil kann den Metabolismus des Gehirns und die kognitiven Funktionen positiv beeinflussen. Regelmässige körperliche Betätigung fördert die Neurogenese (Produktion frischer Neuronen) und verbessert den Stoffwechsel im Gehirn. Mehrere Studien zeigen, dass die älteren Personen am Besten in Form sind, die auf der kognitiven Ebene aktiv bleiben, sei es bei den täglichen Beschäftigungen (Lesen, Karten spielen…) oder mit einem spezifischen kognitiven Training. Die Ernährungsweise ist ebenfalls wichtig, und beeinflusst die kognitiven und Gehirnfunktionen, besonders, was die Speisefette anbelangt. So wird empfohlen, mehrfach ungesättigte Fettsäuren zu sich zu nehmen, z.B. Omega-3-Fettsäuren, wie man sie im Fisch findet. Sie sollen die Gehirnfunktionen verbessern, indem sie den Glutamat-Stoffwechsel fördern, während ein hoher Verbrauch an gesättigten Fettsäuren eher mit weniger guten Gedächtnisleistungen in Verbindung gebracht wird. Der Gingko-Biloba, eine Pflanze in der traditionellen chinesischen Medizin, fördert die Durchblutung des Gehirns und hat eine antioxydative Wirkung, was ebenfalls das Gedächtnis fördert. Amerikanische Forscher haben herausgefunden, das Kaffein nicht nur das Kodieren verbessert, sondern auch die Verankerung im Gedächtnis, indem es die Noradrenalinaktivität modifiziert, ein Neurotransmitter, der bei Lern- und Aufmerksamkeitsmechanismen eine Rolle spielt. Jedoch sind die Daten zur Zeit noch unzureichend, um spezifisch zu Kaffee-Konsum zu raten.

Ab einem gewissen Alter, bezeichnet man bestimmte Beschwerden als physiologisch, d.h., normal, wie das Vergessen von Namen. Wenn die Gedächtnisprobleme störend wirken, ist es notwendig, mit seinem behandelnden Arzt darüber zu sprechen. Er wird entscheiden, ob es nötig ist, mehr Untersuchungen durchzuführen und eventuell eine Konsultation in einer Spezialklinik zu vereinbaren.

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