Wie funktionieren antivirale Impfstoffe?

doctor with vaccine

Prof. Jacques Proust and Nathalie Aubrun

Nescens, Genolier-Klinik

Juli 23, 2022

Die weltweite Ausbreitung des neuen Coronavirus SARS-CoV-2 und seine teilweise katastrophalen Folgen für die Gesundheit eines Teils der Bevölkerung wecken natürlich großes Interesse an Möglichkeiten, diesen Erreger besser zu bekämpfen. Eine Impfung ist ein wirksames Mittel, um eine Person durch Stimulierung des Immunsystems vor einer Viruserkrankung zu schützen. Die Aufgabe des präventiven antiviralen Impfstoffs besteht darin, dem Immunsystem beizubringen, ein Virus spezifisch zu erkennen und zu neutralisieren.

Zunächst einmal: Was ist ein Virus?

Ein Virus ist ein ultramikroskopisches infektiöses Partikel, das nur überleben und sich vermehren kann, wenn es in eine Zelle eindringt und deren zelluläre Maschinerie nutzt. Viren verändern und kapern intrazelluläre Funktionen zu ihrem eigenen Vorteil, mit dem Ziel, den infizierten Organismus in einen kontaminierenden Erreger zu verwandeln, der die Infektion verbreiten und so sein eigenes Überleben sichern kann.
Die Viren sind sehr vielfältig. Sie haben jedoch immer ein Genom, das aus DNA oder RNA besteht, entweder nackt oder in einer Proteinhülle, dem so genannten Kapsid. Die einfachsten haben nur einige wenige Gene, während andere Hunderte von Genen haben. Die Kapsidproteine bilden zusammen mit anderen Molekülen die antigenen Determinanten oder viralen Antigene, d. h. den «Personalausweis des Virus», der vom Immunsystem erkannt wird.

Wie kann ein Virus uns krank machen?

Krankheiten, die durch Viren verursacht werden, sind in den meisten Fällen Begleiterscheinungen ihrer Vermehrung im infizierten Wirt. Die Krankheitssymptome können eine direkte Folge der Infektion sein, wenn die Virusproduktion die infizierten Zellen schädigt. Der Schweregrad dieser Symptome ist dann proportional zum Ausmaß der durch das Virus selbst verursachten Zellzerstörung oder -veränderung.
Andere Zellschäden resultieren aus der unmittelbaren Reaktion des Körpers, die potenzielle Virusfabrik zu zerstören, zu der die infizierte Zelle unweigerlich werden würde. Dabei handelt es sich um die so genannte «angeborene» Immunantwort, die mehr als 90% der Infektionen neutralisiert und eine zweite, spätere Linie der Immunabwehr, die «adaptive» Reaktion, vorbereitet. Die adaptive Immunreaktion, die 8–10 Tage nach der Infektion einsetzt, ist gekennzeichnet durch die Produktion von Antikörpern zur Neutralisierung des Virus und durch die Produktion von Zellen, die auf die Zerstörung infizierter Zellen spezialisiert sind, den zytotoxischen T-Lymphozyten.
Das Virus kann daher direkt zum Zelltod führen und lokale Symptome unterschiedlichen Schweregrades hervorrufen, von einfachen Halsschmerzen bis hin zu viraler Lungenentzündung. Die Aktivierung der angeborenen Reaktion kann durch die Entzündung allgemeine Symptome hervorrufen (Fieber, Gelenkschmerzen, Muskelschmerzen, Kopfschmerzen usw.). Die Zerstörung infizierter Zellen kann auch das Ergebnis der Immunabwehr sein, die während der adaptiven Reaktion entsteht, einschließlich der Wirkung zytotoxischer T-Lymphozyten. Schließlich können Viren Krankheiten verursachen, weil die Virusinfektion das Auftreten von Infektionen durch andere Krankheitserreger fördert. Die Zerstörung des Epithels der Atemwege kann beispielsweise zu Superinfektionen durch Bakterien führen, die die Krankheit verschlimmern können.

Was ist das Prinzip des antiviralen Impfstoffs?

Die Abwehrmechanismen sind die gleichen, die auch bei einer Virusinfektion zum Einsatz kommen. 
Die Impfung ermöglicht auch die Entwicklung so genannter «Gedächtnis»-Immunzellen und spezifischer Antikörper, die über mehrere Jahre im Körper verbleiben. Diese «Gedächtnis»-Lymphozyten sind somit in der Lage, das Virus bei einer erneuten Infektion sofort zu erkennen und schützen die Person vor einer möglichen zukünftigen Infektion. Um dem Immunsystem beizubringen, den Angreifer zu erkennen, besteht die Impfung darin, ihm entweder das Virus selbst zu präsentieren, das unschädlich gemacht wurde, oder seinen «Ausweis», der aus einer seiner antigenen Determinanten besteht, die als fremd für den Organismus erkannt wird. 
Bei dem für Covid 19 (SARS-Cov-2) verantwortlichen Coronavirus ist die antigene Determinante das Molekül, das seine Oberfläche auskleidet und ihm seine Kronenform verleiht, das so genannte Spike-Protein.
Dank der Fortschritte in der Zell- und Molekularbiologie ist es heute möglich, die Untereinheiten von Infektionserregern zu identifizieren, die notwendig und ausreichend sind, um eine Reaktion des Immunsystems hervorzurufen. Mit diesem neuen Wissen ist es möglich, die Wirksamkeit von Impfstoffen zu verbessern und deren Nebenwirkungen zu begrenzen.

Virus-Impfstoffe

Impfstoffe, die entsprechende Viren enthalten, die eine bestimmte Krankheit verursachen, stellen die älteste Art von Impfstoffen dar. Sie können ein lebendes oder ein abgetötetes Virus enthalten.

• Abgeschwächte Virusimpfstoffe

Das Prinzip besteht darin, der Person eine abgeschwächte Version des Virus zu injizieren, das normalerweise die Krankheit verursacht. Dieses abgeschwächte Virus ist zwar «lebendig», verfügt aber über keine krankmachende Wirkung mehr. In den meisten Fällen kann sich das Virus weiter vermehren, aber nicht so stark, dass es eine Gefahr für den Körper darstellt.
Ein abgeschwächtes Lebendvirus hat den Vorteil, dass es eine vollständige und robuste Immunreaktion und eine dauerhafte Immunität hervorruft, ohne dass ein Adjuvans (ein Produkt, das zur Verstärkung der Immunreaktion verwendet wird) erforderlich ist. Diese Art von Impfstoff kann jedoch für Menschen mit einem schwachen Immunsystem, das weniger in der Lage ist, ein Virus, selbst ein abgeschwächtes, zu bekämpfen, ein Risiko darstellen und wird daher für Risikopersonen nicht empfohlen. 

Abgeschwächte Virusimpfstoffe müssen außerdem gekühlt und vor Licht geschützt werden, was ihren Transport und ihre Lagerung erschweren kann.

• Inaktivierte Virusimpfstoffe

Das injizierte Virus wurde durch Hitze, Strahlung oder Einwirkung von Chemikalien «abgetötet». Es hat seine Fähigkeit verloren, sich im Körper zu vermehren, hat aber genug von seiner physischen Integrität behalten, um vom Immunsystem erkannt zu werden. Diese Methode ist zwar sicherer als mithilfe abgeschwächter Viren, vor allem für empfindliche Personen, aber der Immunschutz, den sie bietet, ist weniger dauerhaft und weniger vollständig, da die physikalische Behandlung der Viren eines oder mehrere ihrer antigenen Proteine beschädigen kann. Daher müssen Adjuvantien wie Aluminiumsalze verwendet und mehrere Dosen injiziert werden, um einen wirksamen Schutz zu erzielen.

• Impfstoffe mit viralen Vektoren

Diese Art von Impfstoff enthält ebenfalls Viren, die sich jedoch von denen unterscheiden, die die Krankheit verursachen, gegen die Sie geimpft werden möchten. Diese für den Menschen harmlosen Viren werden verwendet, um den Effektoren des Immunsystems den «Ausweis” des zu bekämpfenden Virus zu liefern. Sie wurden so verändert, dass ihr Genom die Sequenz enthält, die zur Herstellung des Antigens des Virus, gegen das der Organismus immunisiert werden soll, erforderlich ist. Nach der Injektion in den Körper beginnen diese Impfviren, unsere Zellen zu infizieren und ihr genetisches Material – einschließlich des Antigen-Gens – in die Zellkerne einzubauen. Menschliche Zellen stellen das virale Antigen dann so her, als wäre es eines ihrer eigenen Proteine, und es erscheint auf ihrer Oberfläche neben vielen anderen Proteinen. Wenn Immunzellen das fremde Antigen erkennen, lösen sie eine Immunreaktion dagegen aus. 

– Es gibt replikative virale Vektorimpfstoffe, bei denen Viren verwendet werden, die in der Lage sind, sich im menschlichen Körper zu vermehren, die aber abgeschwächt wurden, um ihre Pathogenität zu beseitigen, oder die ausgewählt wurden, weil sie wenig oder keine Pathogenität besitzen.

Diese Technik sorgt für eine starke Immunreaktion und einen langanhaltenden Schutz. Sie ist jedoch teuer und komplex, und ihre Wirksamkeit kann beeinträchtigt werden, wenn die Person bereits mit dem Virus in Kontakt war, das das Antigen liefert. Letzteres darf keine Immunreaktion gegen seine «ursprüngliche» Version auslösen, auch auf die Gefahr hin, dass es eliminiert wird, bevor es den Körper gegen das Antigen, das es trägt, immunisieren konnte.
– Nicht-replizierende virale Vektorimpfstoffe funktionieren ähnlich wie solche, die replikative virale Vektoren verwenden, aber nicht in der Lage sind, neue virale Partikel zu bilden: Sie produzieren nur das virale Antigen.
Diese Technik, die seit langem in der Gentherapie eingesetzt wird, gilt als sehr sicher, benötigt aber viel Zeit für die Entwicklung. 
Gegen Covid-19 werden von Forschern insbesondere Adenoviren eingesetzt. Diese Virenfamilie, die bekanntermaßen hauptsächlich banale Atemwegsinfektionen verursacht, bietet eine gute Stabilität, Sicherheit und einfache Handhabung. Dieses Prinzip liegt dem Impfstoff Covid von AstraZeneca und dem vom Gamaleya-Forschungsinstitut entwickelten russischen Impfstoff Sputnik V zugrunde.

Protein-Impfstoffe

Diese Art Impfstoff repräsentiert eine neuere Technologie. Sie besteht in der Injektion von Proteinen des Virus, gegen das man den Körper schützen möchte. Es wird unterschieden zwischen:

• Protein-Untereinheit-Impfstoffe

Diese Impfstoffe sind oft recht einfach. Sie enthalten nur Proteine des Virus, die direkt in den Körper injiziert werden und als Antigene erkannt werden.
Da keine «lebenden» Komponenten injiziert werden, gilt die Methode als besonders sicher. Da diese Proteine jedoch allein injiziert werden, ist die erzielte Immunantwort oft relativ schwach und muss durch den Einsatz von Adjuvantien verstärkt werden. Diese Methode kann auch mit erheblichen Kosten und Entwicklungszeiten verbunden sein.

• Impfstoffe mit pseudoviralen Partikeln

Sie enthalten Proteine, die sich zu einer Struktur zusammenfügen, auf deren Oberfläche sich das virale Antigen befindet. Diese so genannte «rekombinante» Struktur ist nicht infektiös, da sie leer ist, aber sie ahmt die Form des Virus recht gut nach.
Diese Art von Impfstoff bietet eine hervorragende Immunantwort, ist aber technisch schwierig herzustellen und erfordert hohe Investitionen.

Impfstoffe aus genetischem Material

Nukleinsäureimpfstoffe (DNA oder RNA) sind ein neuer Impfstoffansatz. Diese neuen Impfstoffe enthalten kein vollständiges Virus, sondern nur sein genetisches Material, das nach dem Eindringen in menschliche Zellen deren Maschinerie zur Synthese des viralen Antigens anregt.

• DNA-Impfstoffe

Die injizierten DNA-Moleküle tragen die Gene des Virus, die für die Synthese seines Antigens verantwortlich sind. In der Zelle werden diese Gene transkribiert und von der zellulären Maschinerie «abgelesen», die das entsprechende Protein herstellt. Die auf diese Weise produzierten viralen Proteine werden auf der Zelloberfläche präsentiert und vom Immunsystem als körperfremd identifiziert. Die erzeugte Immunreaktion ist in der Regel mild und erfordert den Einsatz von Adjuvantien und mehrere Dosen, die im Abstand von einigen Wochen verabreicht werden, um einen dauerhaften Schutz zu erreichen.

Bislang wurde noch kein DNA-Impfstoff für den Menschen auf den Markt gebracht.

• RNA-Impfstoffe

Diese Impfstoffe funktionieren ähnlich wie DNA-Impfstoffe, aber mit einer anderen Art genetischen Materials: Boten-RNA. Die Boten-RNA ist eine vorübergehende «Fotokopie» eines DNA-Stücks, die von den Ribosomen gelesen wird, die entsprechend den genetischen Anweisungen der DNA ein Protein herstellen. Nach der Injektion gelangt die Boten-RNA durch eine spezielle Lipidhülle in menschliche Zellen, die bei Kontakt mit der Zellmembran verschmilzt. Die Boten-RNA veranlasst dann direkt die Ribosomen, das virale Protein zu synthetisieren. Der Ablauf ist derselbe wie bei DNA-Impfstoffen: Auf der Oberfläche der Zellen exprimierte virale Proteine werden erkannt und lösen die gewünschte Immunantwort aus.
Einer der Vorteile dieses Impfstoffs besteht darin, dass die Boten-RNA im Gegensatz zur DNA nicht in den Zellkern integriert wird, was das Risiko der Genotoxizität (Veränderung der DNA unserer Zellen) erheblich verringert. Die Boten-RNA kann auch schnell verändert werden, um auf eine mögliche Mutation des Virus zu reagieren, was zum Auftreten neuer viraler Antigene führt. Die Boten-RNA ist jedoch weniger stabil als die DNA: Sie muss daher von einer Lipidhülle geschützt und bei sehr niedrigen Temperaturen gelagert werden.
Derzeit sind zwei RNA-Impfstoffe von Pfizer-BioNtech und Moderna gegen SARS-CoV-2 erhältlich.

Warum geimpft werden? Ein individueller Nutzen, aber auch ein kollektiver…

Die Ausbreitung einer ansteckenden Krankheit innerhalb einer Bevölkerung steht in direktem Zusammenhang mit dem Anteil der Menschen, die für eine Ansteckung empfänglich sind: Je mehr Menschen geimpft sind, desto geringer ist das Risiko einer Übertragung. Und wenn diese Zahl sehr groß wird, wirken die geimpften Personen als Barriere zwischen den ansteckenden und den nicht geimpften Personen. Der Erreger zirkuliert dann nicht mehr in der Bevölkerung. Ein solcher Gruppenschutz schützt also nicht nur die Geimpften, sondern auch die Nichtgeimpften. 

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