Die Gene der Langlebigkeit…

mother and daughter smiling

Prof. Jacques Proust

Zentrum für Präventivmedizin, Nescens, Clinique de Genolier

Februar 28, 2022

Es gibt keine Möglichkeit, das Altern zu vermeiden, jedenfalls nicht jetzt. Wenn wir altern, führt die fortschreitende Fehlfunktion unserer Zellen, Organe usw. zu einem höheren Krankheitsrisiko. Zu diesen Krankheiten gehören Krebs, neurodegenerative Probleme, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Rheuma und vieles mehr. Die Geschwindigkeit, mit der wir altern, hängt neben Umwelt- und Lebensstilfaktoren eng mit unseren Genen zusammen. Die durchschnittliche genetische Komponente, die die Lebenserwartung bestimmt, liegt bei etwa 25 % und hat sich im Laufe der Evolution so erhalten. Das ApoE-Gen ist das erste Gen, das mit Langlebigkeit in Verbindung gebracht wurde. Foxo und Clotho sind ebenfalls Gene, die unsere Langlebigkeit beeinflussen, indem sie sich um unseren Körper kümmern.

Wenn Sie mehr darüber erfahren möchten, lesen Sie den Artikel von Prof. Jacques Proust weiter.

Altern ist ein unvermeidbarer, fortschreitender biologischer Prozess, der sich durch Fehlfunktionen und schlussendlich einer Zerstörung der Gewebe und Organe manifestiert. Die progressiven Fehlfunktionen der Zellen, Organe, Systeme und des gesamten Organismus, sind ein hoher Risikofaktor für altersbedingte Pathologien wie Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, neuro-degenerative Probleme, Rheuma und Entzündungen. Das Erscheinen dieser Krankheiten, der körperliche Verfall und das Schwinden der Reservekapazitäten, reduziert unsere Lebenserwartung.

Die Geschwindigkeit und die Intensität des Alterungsprozesses stehen in enger Korrelation mit den genetischen und umweltbedingten Faktoren sowie der Lebensweise. Die genetischen Vorbedingungen, die Lebensgeschichte und die Risikofaktoren machen den Unterscheid aus, wie Mancher besser und länger der physiologischen Degeneration widersteht, die typisch ist für das Älterwerden. In einer Bevölkerung mit durchschnittlicher Lebenserwartung, beträgt die genetische Komponente für die Bestimmung der Lebenserwartung 25%. Dieser Anteil steigt mit zunehmendem Alter auf 33% bei den hundertjährigen Frauen und auf 48% bei den hundertjährigen Männern. Nach mehr als 20 Jahren wissenschaftlicher Forschung hat man herausgefunden, dass die Langlebigkeit durch Gene und Stoffwechselwege bestimmt wird, die im Laufe der Evolution in hohem Masse beibehalten wurden. Die gleichen Gene, die gleiche Stoffwechselwege kodieren, bestimmen die Lebenserwartung so unterschiedlicher Arten wie Hefen, Würmer, Fliegen und Mäuse.

Sehen wir uns einiger dieser Gene näher an:

ApoE: das Gen, das mit ungewöhnlicher Langlebigkeit assoziiert wird

Das Gen ApoE (Apolipoprotein-E-Gen) ist das allererste Gen, von dem man weiss, dass es an eine hohe Lebenserwartung ankoppelt, zumindest was seine Allele betrifft. Allele sind Varianten des Gens, hier die Formen E2 und E3. Man findet E2 und E3 häufiger bei den 100 jährigen, während die Variante E4 eher im Zusammenhang mit alterstypischen Erkrankungen gefunden wird, wie Herz-Kreislaufstörungen und Alzheimer und deswegen mit einer höheren Sterblichkeit verbunden wird. Je nach vorliegendem Genotyp (E2, E3 oder E4), beeinflussen die Produkte des ApoE-Gens in positiver oder negativer Weise fundamentale biologische Mechanismen an der Wurzel des Alterungsprozesses:

• Stabilisierung und Lösung der Lipoproteine (Proteine, die Fette im Blut transportieren), teils zuständig für die Regulierung des Cholesterinspiegels

• Oxidativer Stress und Produktion von freien Radialen (stark reaktionsfreudige, von unserem Stoffwechsel produzierte oxidierte Moleküle , mitverantwortlich für molekularen Verfall im Alter)

• Aktivität und Erneuerung der Mitochondrien (Kraftwerke in den Zellen, deren Energie-produktion mit der Zeit abnimmt)

• Abstossen beschädigter und unbrauchbarer Mitochondrien (Mitophagie)

• Abstossen beschädigter Moleküle (Autophagie), deren Anhäufung die Funktion der Zelle massiv stört

• Die Immunfunktion, deren Leistungsfähigkeit im Alter abnimmt

• Entzündungen, die über das Ziel hinausschiessen und mit dem Alter schädlich werden, Phänomen, das man «Inflamm-Aging» nennt.

Foxo: die Genfamilie der Langlebigkeit

Aktuelle Forschungen zeigen die wichtige Rolle der Foxo (Forkhead box O) – Gene in Alterungsprozessen und hoher Lebenserwartung, durch die darin kodierten Vorgänge. Das Genom der wirbellosen Tiere enthält nur ein Foxo-Gen, während die Säugetiere 4 haben. Das einzige Foxo-Gen, dass bei der Hydra (Süsswasserpolyp) gefunden wurde, ist für ihre (Fast-) Unsterblichkeit verantwortlich: es sorgt dafür, dass ihre Stammzellen ständig erneuert werden. Bei den komplexeren Organismen haben sich die Foxo-Gene vervielfacht und erfüllen verschiedene Funktionen.

Bei den Säugetieren kontrolliert diese Gen-Familie direkt oder indirekt biochemische Mechanismen, die für das optimale Funktionieren des Organismus notwendig sind. Die Foxo-Gene beteiligen sich besonders an:

• Reparieren molekularer Schäden und vor allem der DNS

• Ausscheidung und Recycling der beschädigten Moleküle (Autophagie)

• Schutz vor oxidativem Stress durch freie Radikale

• Abstossen nicht funktionaler Zellen (Apoptose)

• Erhalt der Stammzellen

• Regulierung des Immunsystems und der Entzündungsmechanismen

• Hemmen der Krebszellenteilung

Familie Foxos Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten trotzen den grundlegenden Mechanismen, die dem Altern zugrunde liegen.

Vorgänge und strategische Position auf den intrazellulären biochemischen Stoffwechselwegen, machen das Foxo-Gen 3 zum Hauptakteur der molekularen Mechanismen bei hoher Lebenserwartung. Beim Menschen findet man eine Verbindung zwischen bestimmten Varianten des Foxo-Gens 3 und Langlebigkeit. 11 unabhängige Studien in Bevölkerungen unterschiedlicher genetischer Herkunft, in verschiedenen Ländern, haben diese Verbindung bestätigt. Es bleibt nur noch herauszufinden, welche Funktionen dieser Genvariante genau die Widerstandskraft gegen Alterungsprozesse unterstützen.

Klotho: das Anti-Ageing Gen

Klotho heisst eine der drei Moiren der griechischen Mythologie, die jedermanns Lebensdauer festlegte. Klotho spann den Lebensfaden, Lachesis mass ihn und Atropos schnitt ihn ab.

Das Gen Klotho führt, wenn es spontan mutiert, «Funktionsverlust», zu beschleunigtem Altern bei einer bestimmten Art Mäuse. Mäuse mit dieser Mutation hatten Wachstumsverspätung und physio-pathologische Veränderungen, die normalerweise dem Altersprozess zugeschrieben werden, wie Gefässverkalkung, Osteoporose und verschiedene organische Schäden. Statt der üblichen 2 Jahre Leben, hatten diese Mäuse eine kürzere Lebenserwartung von 2 oder 3 Monaten.

Umgekehrt erhöht ein durch Gentechnik verstärktes Klotho-Gen die Lebenserwartung der Maus. Wie die Foxo-Gene, wurde auch das Klotho-Gen im Laufe der Evolution in hohem Masse beibehalten. Das Produkt des Klotho-Gens (das Klotho-Protein) verbindet sich entweder mit der Zellmembran oder existiert in löslicher Form: letzteres funktioniert wie ein Hormon und übt seine Wirkung auf verschiedene Organe und System von Weitem aus. Die Konzentration des Klotho-Proteins im Blutplasma nimmt mit fortschreitendem Alter ab. Mangelnde Produktion von Klotho wird mit vielen alterstypischen Erkrankungen in Verbindung gebracht, Krebs, chronisches Nierenversagen, Diabetes, Bluthochdruck, Hautatrophie.

Wie genau Klotho gegen das Altern agiert, wird noch in vielen Studien erforscht. Man weiss jedoch, woran Klotho beteiligt ist:

• Kontrolle der entzündlichen Vorgänge

• Hemmung der Produktion von freien Radikalen (reaktive Oxidationsprodukte)

• Verbesserung des Phänomens der Zellalterung (definitiver Ruhezustand der Zellen und Stillstand der Zellteilung)

• Erhalten des Vorrats an Stammzellen, die für die Zellteilung sorgen

• Unterbrechung der Signalwege der Aktivatoren für die Alterung der Wachstumsfaktoren Wie für Foxo, stellt man eine Verbindung zwischen dem menschlichen Alterungsprozess und bestimmten funktionalen Varianten des Klotho-Gens her.

TOR, der genetische Pfad zum Altersprozess

Eine der Hauptrollen von TOR (englisch: Target of Rapamycin, «Ziel des Rapamycins») ist die Anpassung des Wachstums und des Zellmetabolismus an die Umweltbedingungen, insbesondere an die Nährstoffe und die Wachstumsfaktoren. Wenn TOR entgleist, ist es an Krebsbildung, Diabetes, aber auch am Alterungsprozess beteiligt.

Ist TOR aktiviert, sind seine biologischen Auswirkungen:

• Erhöhung der Proteinsynthese

• Bremsung des Autophagie-Prozesses und der Aktivität der Proteasome, die bei Abstossen und Recyceln der beschädigten oder für die Funktion der Zelle unbrauchbaren Moleküle beteiligt sind

• Mindert die Erneuerung bestimmter Stammzellen

• Beeinflusst die Transkription der Gene, die an den Schutzfunktionen vor Oxidationsstress teilnehmen

Die Hemmung des TORs durch Rapamycin erhöht deutlich die Lebensspanne bei Hefen, Würmern, Fliegen und, dosierungsabhängig, bei der Maus. Rapamycin ist ein Molekül mit immunosuppressiven und krebshemmenden Eigenschaften, das in der 70er Jahren im Boden der Osterinseln entdeckt wurde. Die Osterinseln werden auch Rapa Nui genannt, daher der Name.

Der Anti-Ageing Effekt der TOR-Hemmung scheint nicht von der geringeren Krebsrate oder der Proteinsynthese abzuhängen, sondern eher von der Qualitätserhaltung der intrazellulären Proteine durch die Aktivierung der Autophagie-Mechanismen. Was die Erhaltung der Stammzellen angeht, sie ist eher dem Schutz vor oxidierenden Molekülen als irgendeiner anderen Anti-Ageing Aktivität zuzuschreiben.

Andere Gene, die verschiedenen Akteure der biochemischen Wege mit jeweils pro- und anti-ageing Wirkungen regulieren, (unter ihnen die Sirtuine, die AMP Kinase, insulinähnliche Wachstumsfaktoren) sind in den letzten Jahren entdeckt worden.

Abgesehen von der intellektuellen Faszination für die Fortschritte der letzten Jahre beim Verständnis der fundamentalen Alterungsmechanismen, besteht auch ein grösseres Interesse in der Möglichkeit, durch pharmakologisches oder ernährungswissenschaftliches Eingreifen, die Aktivität dieser Gene und die biochemischen Wege, die sie kodieren, zu modifizieren. Diese Massnahmen könnten in naher Zukunft unsere Widerstandskraft gegen das Altern stärken und zum Erhalt unseres Gesundheitskapitals im Alter beitragen.

Ärztlicher Direktor, Zentrum für Präventivmedizin, Nescens, Clinique de Genolier, 1272 Genolier

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